Die Psychologie des Heißhungers: Wie "Craving" entsteht (2024)

Welche Ursachen hat Esssucht und wie kann man sie bekämpfen? Suchtmedizinerin Iris Zachenhofer erklärt, wie „Food Cravings“ entstehen und wie Du mit einem simplen Test aufdeckst.

Falls Du Dir manchmal über Deine fehlende Disziplin beim Essen Gedanken gemacht hast – während die anderen ihre Ernährung perfekt im Griff zu haben scheinen –, dann haben die Suchtmediziner Dr. Iris Zachenhofer und Dr. Shird Schindler eine wichtige Nachricht für Dich:

Mit Dir ist alles in Ordnung.
Du bist nicht Esssüchtig.

Auch, wenn es Dir manchmal so vorkommt. Die Mechanismen hinter dem Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln sind allerdings faszinierend:

Wenn Du Dich nach Schoki, Chips, Keksen oder Kuchen sehnst, passiert in Deinem Gehirn ähnliches, wie bei einem Drogenabhängigen auf Entzug.

Einige Produkte sind sogar extra dazu designt, wieder und wieder Verlangen hervorzurufen.

Umso wichtiger ist es, diese Mechanismen zu kennen, um den Teufelskreis verlassen und die Führung über Dein Essverhalten wiederzuerlangen.

Themenübersicht

  • Was sind Food Cravings und wie entstehen sie?
  • Esssucht Ursache 1: Das chemische Craving
  • Die Top 10 Liste der Sucht-Lebensmittel
  • Esssucht Ursache 2: Das emotionale Craving
  • Die Craving-Analyse: Dein Selbsttest

Mit „Abnehmen für hoffnungslose Fälle“ haben die Dr. Iris Zachenhofer und Dr. Schird Schindler ein Arbeitsbuch für die Reise zu einer schlanken Figur entwickelt, das bewährte Verfahren aus der Suchtmedizin zur nachhaltigen Verhaltensänderung nutzt.

Sie haben es geschrieben für diejenigen, die sich bisher zu den „Härtefällen“ gezählt haben und ihr Verlangen nach bestimmten, fürs Abnehmen weniger hilfreichen Lebensmitteln mit „normalen“ Mitteln nicht in den Griff bekommen haben.

Faszinierend ist das Buch auch für diejenigen, die sich für das Zusammenspiel zwischen Ernährung und Belohnungssystem des Gehirns interessieren.

Dieser Artikel ist ein exklusiver Auszug aus dem Buch.

Vorhang auf für Dr. Zachenhofer und Dr. Schindler.

Die Psychologie des Heißhungers: Wie "Craving" entsteht (1)

Was sind „Food Cravings“ – und wie entstehen sie?

Die Suchtfaktoren beim Essen, wie sie entstehen und was sie mit uns machen.

Kennst Du das Gefühl? Du hattest die allerbesten Vorsätze, was Du an diesem Tag noch essen wirst. Du hattest einen tollen Plan und hast dementsprechend eingekauft.

In Deinem Kühlschrank sind nur Lebensmittel, die Du als „gesund“ einstufst, die Chipspackungen, Salzcracker und anderes Sündiges hast Du vorsorglich schon vor Tagen beseitigt.

Doch am Heimweg von der Arbeit oder von einem Ausflug steigt dieses Gefühl in Dir auf, dass der Griechische Salat heute doch nicht das Richtige für Dich ist.

Dass er heute irgendwie unpassend ist und kein gutes Gefühl in Dir auslösen würde. Zu kalt, zu gesund. Irgendetwas würde Dir fehlen. Eine innere Stimme flüstert:

Du hattest einen wirklich anstrengenden Tag. Du hast Dir etwas anderes verdient als fades Gemüse.

Du wirst ein bisschen unruhig, denn immerhin ist Dein Plan gründlich überlegt. Du fühlst Dich nicht so recht wohl in Deiner Haut.

Eigentlich wäre es Unsinn, den Griechischen Salat zu essen, wenn Du ihn gar nicht willst, denkst Du. Vielleicht solltest Du ihn gegen etwas anderes austauschen, so schlimm wird das wohl nicht sein.

Dein Essensplan fällt Dir wieder ein, die Kalorienvorgaben, die Du genau notiert hast. Deine Ziele, warum Du diese Diät machen willst. Der bereits gebuchte Strandurlaub.

Doch allmählich rückt das alles in den Hintergrund. Bald ist es unendlich weit weg, fast wie ein Traum, der immer mehr verblasst.

Deine Sinne haben sich inzwischen geschärft. Der Döner-Stand an der Busstation ist Dir aufgefallen und der Duft aus der Bäckerei in Deinem Viertel ist sehr verlockend.

Du kannst nicht sagen, wann genau dieses Gefühl in Dir hochgekommen ist. Es kommt Dir auch gar nicht so sehr wie ein Gefühl oder gar wie Appetit oder Hunger vor.

Vielmehr läuft in Dir eine rationale Diskussion ab.

Du stellst Dir nun ziemlich offen die Frage, die Dir jedenfalls berechtigt erscheint, ob ein so mageres Abendessen für Dich heute wirklich das richtige sein kann. Ob da wirklich genügend Vitamine und Mineralstoffe für Dich drin wären.

Du hinterfragst Deinen Ernährungsplan und zweifelst ihn an.

Es scheint Dir, dass er Dein Arbeitspensum nicht berücksichtigt, ebenso wenig wie den Stress, den Du gerade hast, und dass Du heute am Abend am Computer noch Tabellen erstellen musst und dafür mehr Kalorien benötigen wirst, als Dir so eine magere Diätmahlzeit geben könnte.

Hunger hast Du eigentlich nicht, stellst Du fest, aber man wird ja wohl Einwände äußern dürfen, wenn man Zweifel hat, ob der Ernährungsplan wirklich ideal ist, überlegst Du. Eine innere Stimme flüstert:

Du wirst nicht sterben, wenn Du heute normal und erst morgen weniger isst. Heute ist einfach nicht der ideale Tag für dieses Programm, und wenn Du den Umweg vorbei an der McDonald’s-Filiale gehst, hast Du ein bisschen mehr Bewegung. Das ist doch auch wichtig, oder?

Dieses Gefühl, dieses Verlangen nach Essen, das Deine Gedanken so manipuliert, ist keine Willensschwäche, sondern ein Symptom mit einem medizinischen Fachausdruck:

Es ist Craving.

Unter Craving (engl. Begierde, Verlangen) verstehen wir das (beinahe) unstillbare Verlangen nach einer Substanz, in unserem Fall nach Essen, genauer gesagt meistens nach fettem, süßem oder salzigem Essen.

Craving bewirkt Symptome wie einen massiven Anstieg der inneren Anspannung und oft auch körperliche Beschwerden wie Zittern oder Schwitzen.

Es ist nur logisch, dass wir unbedingt den unangenehmen Zustand, in den uns das Craving versetzt, beenden wollen.

Der einfachste Weg ist es, wieder zu der Substanz zu greifen, der es geschuldet ist, möglichst süß, möglichst fett oder möglichst salzig zu essen.

Kurzfristig bessert sich dadurch unser Wohlbefinden. Längerfristig schlittern wir allerdings immer weiter in unser Problem hinein.

Der Fall Sabine

Vielleicht hast Du jetzt Zweifel. Craving beim Essen und Craving bei Heroinsucht oder Alkoholkrankheit – ist das wirklich vergleichbar? Wird da nicht etwas dramatisiert?

Schließlich ist es normal, Hunger zu haben. Die Evolution hat dem Menschen Hungergefühle gegeben, um sein Überleben zu sichern, sonst würden wir vielleicht verhungern, ohne es zu bemerken.

Und wo genau soll nun eigentlich der Unterschied zwischen Appetit, Hunger und Craving liegen? Was wollen diese Suchtmediziner von mir?

Der Auslöser für unsere Überlegungen und für unseren Entschluss, dieses Buch zu schreiben, war eine verunglückte Ratatouille.

Was ist passiert?

Die Sache ereignete sich in Südfrankreich, wo ich mich mit meiner Kollegin Marion für mehrere Wochen zur Arbeit an einem Bericht über Missstände an den neurochirurgischen Abteilungen europäischer Krankenhäuser traf.

Wir hatten, um uns konzentrieren zu können, ein abgelegenes Haus gemietet und verschanzten uns dort mit Computern, Büchern und mehreren Ordnern voller Studien. An den Markttagen gingen wir ins nächste Dorf, um einzukaufen.

Wir kochten uns quer durch die südfranzösische Küche, um uns selbst wenigstens kulinarisch zu verwöhnen, wenn wir schon in der Sommerhitze arbeiten mussten.

Wir kochten Muscheln mit Roséwein, Ratatouille, Fisch in Salzkruste, Crêpes mit Feigenmarmelade, Olivenkuchen, Huhn mit Fenchel, Aioli und Gemüseauflauf mit Ziegenkäse und ernährten uns sonst von Honigmelonen, Tomatensalat, Nizza- Salat und frischen Feigen.

Streber, denkst Du Dir wahrscheinlich jetzt, was für superschlaue Weiber. Vielleicht kommen jetzt noch ein paar abgedroschene Tipps, um wieviel gesünder Biogemüse ist als normales, dass regionale Zutaten besser sind als eingeflogene und bla bla bla…

Und Du bist schon knapp davor, auch dieses Buch wieder in die Ecke zu werfen oder sich einen Rücksendeschein auszudrucken.

Denn Du hast genug von den vielen Ernährungs- und Fitnessbüchern mit neunmalklugen Ratschlägen, Rezepten, Übungen und vielleicht noch Bildern von gestylten Bloggerinnen, die sich im Sportdress bei Sonnenaufgang am Strand räkeln und Yoga-Übungen machen.

Du kannst es einfach nicht mehr hören und lesen, wie gesund Tomatensalat mit Schaf-, Ziegen- oder sonst welchem Käse ist.

Ich muss zu unserer Verteidigung sagen, dass Marion und ich diese Mahlzeiten einfach nur deshalb wählten, weil sie leicht verfügbar und unkompliziert zuzubereiten waren, und weil sie zum damaligen Zeitpunkt, mitten im Sommer, einfach am bekömmlichsten waren. Für Nährwerte- oder Kalorienzählen hätten wir weder Zeit noch Lust gehabt.

Joghurt mit süßen, reifen Feigen aus dem Garten, Brombeeren, die neben der Bushaltestelle wuchsen und Trauben von den benachbarten Weingärten, das war das Allerbeste – so gut, dass sich aufwändige Zubereitungsmethoden erübrigten.

Unsere intensive Arbeit, unsere täglichen kurzen Ausflüge an den Strand und unsere ausführlichen Gespräche sorgten dafür, dass wir darüber hinaus kaum ans Essen dachten.

Dass es auch Menschen gibt, die das ganz anders erleben konnten, wurde uns erst klar, als uns Sabine, eine ehemalige Kollegin, die wir beide sehr mochten, besuchte.

Sabine war etwas übergewichtig und ernährte sich daheim in Wien in erster Linie von allem, was sich liefern ließ. Wenn sie selbst kochte, musste es schnell gehen, deshalb verfügte sie immer über große Vorräte an Fertigprodukten aller Art.

Sie wird glücklich sein, bei uns in Frankreich einmal etwas anderes, als ihr industriell hergestelltes Zeug zu kriegen, dachte ich.

Da hatte ich mich getäuscht.

Zu Beginn dachte ich noch, Sabine würde an einer leichten Verstimmung oder Reisekrankheit leiden, doch diese Symptome – vor allem ein leichter Unmut – steigerten sich binnen kurzer Zeit zu einer ständig üblen Laune, wobei sich ihre Kritik vor allem auf das Essen konzentrierte.

Sabine entwickelte klassisches Craving mit allen Begleitsymptomen.

Es war Marion, die mich am dritten Tag von Sabines Besuch darauf aufmerksam machte. „Sie hat einen Entzug“, sagte sie. „Schau, wie sie ständig nach etwas Essbarem sucht. Die wirkt wie eine Drogensüchtige.“

Sabine konnte sich nie für die Feigen, Melonen, Marillen, Holzofenbaguettes, Oliven und Käsespezialitäten begeistern, die wir vom Markt mitbrachten. Sie brauchte immer etwas aus Plastikflaschen, Alubeuteln oder Konservendosen.

Ich konnte tatsächlich nicht leugnen, dass mich ihr Verhalten nun auch an unsere Patienten im Zentrum für Suchterkrankungen am Wiener Otto-Wagner-Spital erinnerte, die auf der Entzugsstation oder in der Ambulanz auf ihre Entzugsmedikation warteten.

Sie waren nervös, unruhig, gereizt, schlecht gelaunt und ausschließlich auf ihren Entzug beziehungsweise ihre Entzugsmedikation fokussiert.

Marion ließ die Sache keine Ruhe. „Ist dir aufgefallen, was sie gestern zum Apero gegessen hat? Statt die Holzofenbaguettes vom Markt zu probieren, hat sie sich auf die Cracker aus dem Plastiksack gestürzt, die von den Vormietern noch da waren. Und alle aufgegessen.“

Ein richtiger Apero, die französische Version der kleinen Häppchen vor dem Essen, war das nicht mehr.

Ich dachte, Sabine würde ihre Leidenschaft für unser Essen erst noch entwickeln und würzte für sie extra intensiv. Doch es war schwierig.

Egal, wie gut die Lebensmittel waren, die wir ihr servierten, Sabine schien immer auf der Suche nach etwas Verpacktem, industriell Hergestelltem, Bearbeitetem zu sein, das sie dem Essen unterrühren, dazu mischen, drüberstreuen oder notfalls extra essen konnte.

Es fing mit Dosenpfirsichen an, die sie zum Obstsalat aus Feigen, Pfirsichen, Trauben und Minze aß und reichte bis zur Mayonnaise aus der Tube, die sie zum Aperitif mit der Oliven-Tapenade kombinierte.

In einen Nizza-Salat, den Marion zubereitet hatte, einem einfachen Gericht mit Tomaten, Paprika, Zwiebel, harten Eiern, Oliven und Sardellen, kippte sie Mais und Bohnenschoten aus der Dose.

Andere Salate, die wir nur mit Olivenöl und Zitronensaft anmachten, „verfeinerte“ sie mit „French-Dressing“ aus einem Fünf-Liter-Kanister.

Wir kauften Avocados, Zitronen, Knoblauch und Petersilie, um Guacamole für den Apero zuzubereiten. Sie kam uns zuvor, pürierte die Avocados und vermischte sie mit Ketchup und ebenfalls Mayonnaise. „Das schmeckt doch viel intensiver“, meinte sie dazu.

In der provenzalischen Tomatensuppe schwammen auf einmal Würstchen aus dem Glas, und unsere gefüllten Auberginen ertränkte sie in Fertig-Sahnesauce aus der Packung.

Dann kam die Sache mit der Ratatouille. Als wir einmal abends vom Strand zurückkamen, wunderten wir uns, weil in der Küche ein Topf am Herd stand. Wir hatten am Vormittag Ratatouille gekocht, die als Beilage zum Fisch am Abend dienen sollte.

Ich stellte die Badetasche ab und ging in die Küche. Wahrscheinlich hatte Sabine Hunger und wollte sich die Ratatouille schon einmal aufwärmen, dachte ich.

Doch was einmal ein bunter, südfranzösischer Gemüseeintopf aus Tomaten, Zucchini und Auberginen gewesen war, stand nun als dunkelrote, schäumende Brühe vor mir.

„Oh du meine Güte“, sagte ich leise.

„Ich war kreativ“, flötete Sabine. „Ich habe das Gemüse etwas aufgepeppt.“

Es stellte sich heraus, dass Sabine nicht nur Bohnen aus der Dose, sondern auch die Flüssigkeit der Bohnen ergänzt hatte, was den Schaum erklärte.

„Das schmeckt doch viel besser“, meinte sie und erzählte, dass sie auch gleich eine Konservendose Ratatouille dazu gegeben hatte. Einmal mehr, „damit der Geschmack intensiver ist“.

Sie verstand nicht, warum wir keinen Appetit zeigten. Wir taten so, als wären wir vom Mittagessen noch furchtbar satt und aßen später klammheimlich Brot mit Oliven und Käse.

Es war eine heikle Aufgabe, unsere Freundin am nächsten Tag zu bitten, ihre kulinarischen Inspirationen nur noch bei ihren eigenen Mahlzeiten auszuleben. Immerhin gelang es uns, ohne sie zu kränken und unsere Freundschaft mit dieser liebenswürdigen, begeisterungsfähigen und sehr empathischen Frau zu gefährden.

Nach Sabines Abreise beschäftigte ich mich erstmals mit Esssucht.

Unter anderem stieß ich auf eine Studie, die Craving beim Essen untersuchte, und stellte fest, dass Sabine kein Einzelfall war. Es scheint sogar der Mehrheit aller Menschen so wie ihr zu gehen:

Bei dieser Studie zeigten 58 Prozent von 2.000
Teilnehmern Craving nach mehreren Geschmacksrichtungen,
vor allem nach salzig/süß oder salzig/würzig.

Auch Sabines Form der „Kreativität“ war eine natürliche und häufige Reaktion.

Zu den seltsamsten Kombinationen, die Studienteilnehmer angesichts eines Mangels an kulinarischen Suchtmitteln probiert hatten, gehörten Spaghetti mit Chips, Schokolade mit Shrimps oder Eis mit Pommes frites.

Es gibt dabei zwei Arten von Craving: das chemische Craving und das emotionale Craving.

🎧 Podcast-Tipp: Dr. Zachenhofer im Interview bei Fitness mit M.A.R.K.

Im Interview mit Mark verrät Iris Zachenhofer mehr Hintergründe und praktische Tipps. Du hörst das Ganze in Folge 282, die den gleichen Titel trägt wie das Buch.

Hier geht’s zum Podcast 👉 Abnehmen für hoffnungslose Fälle.

Esssucht Ursache 1: Chemisches Craving

Die Psychologie des Heißhungers: Wie "Craving" entsteht (2)

In der Natur gibt es keine Substanzen, die chemisches Craving in einem Ausmaß wie industriell hergestellte Lebensmittel auslösen können.

Wir werden kaum wegen Äpfeln, Salat, Bananen, Fleisch oder Milch chemisches Craving entwickeln.

Das bestätigen auch Tierversuche.

Ratten zeigten ein unauffälliges Essverhalten, wenn sie unbehandelte Lebensmittel wie Obst bekommen hatten. Wenn sie allerdings industrielle Nahrungsmittel wie M&Ms gefressen hatten, entwickelten sie Craving. Sie waren unruhig und nervös, klapperten mit den Zähnen, liefen im Käfig auf und ab und sprangen an die Käfigwände.

Wir Menschen können, ebenso wie die Ratten, Craving nur durch industriell hergestelltes Essen entwickeln.

Wir klappern zwar nicht mit den Zähnen und springen nicht im wörtlichen Sinn an die Wände, haben aber ansonsten das gleiche Verlangen nach diesen Nahrungsmitteln.

Generell gilt:

Je raffinierter die Verarbeitung von Lebensmitteln, die wir regelmäßig essen, ist — je geschmacksintensiver und aromatisierter sie sind —, umso mehr chemisches Craving entwickeln wir.

Sind wir an industriell hergestellte Lebensmittel gewöhnt, sehen wir so wie Sabine „normale“, also unverarbeitete Lebensmittel gar nicht mehr.

Woran liegt das?

Die Dopamin-Falle: Wie wir unser Gehirn auf Sucht-Lebensmittel konditionieren

In ihrem Wettbewerb um Beliebtheit bei den Konsumenten haben Nahrungsmittelkonzerne irgendwann Techniken entwickelt, mit denen sie chemisches Craving auslösen können.

In ihrem ureigenen Interesse: Sind die Konsumentinnen und Konsumenten verrückt nach ihren Produkten, klingeln ihre Kassen. Sind sie regelrecht süchtig danach, ist das der Jackpot.

Bei chemischem Craving geht es vor allem um die Art der künstlichen Inhaltsstoffe und um ihre hohe Konzentration in „Highly processed foods“, den stark verarbeiteten Lebensmitteln.

In einem Artikel aus dem Jahre 2011, der im New Yorker erschien, teilte die oberste Chefin von Pepsi ganz unverblümt mit, dass sie vorhabe, die Produkte ihres Konzerns chemisch so zu verändern, dass möglichst viele Menschen sie konsumieren.

Es gibt ein Wort dafür: Die Lebensmittelindustrie will ihre Produkte „hyperpalatable“ machen. „Hyperpalatable“ bedeutet, dass möglichst viele Menschen möglichst viel davon essen oder trinken wollen.

Das Wort „hyperpalatable“ ist noch relativ neu und bedeutet schlichtweg, dass etwas sagenhaft gut schmeckt.

Allerdings eben nicht von Natur aus, sondern dank zugesetzter Stoffe wie Zucker, Alkohol, Salz, Fett oder Geschmacksverstärkern.

Industrielle Lebensmittel werden dabei immer so konzipiert, dass sie eine möglichst starke Wirkung auf das Belohnungssystem haben.

Denn das Belohnungssystem in unserem Gehirn bewirkt eine Ausschüttung des sogenannten „Glückshormons“ Dopamin.

Dopamin ist eine hormonähnliche Substanz, wir nennen das Neurotransmitter, durch deren Wirkung wir uns gut, im Sinne von motiviert, und glücklich fühlen.

Dopamin wird durch Essen freigesetzt, vor allem durch sehr fettes oder sehr süßes Essen, aber auch durch Sport, Sex, Musik und generell durch alles, was wir als schön empfinden.

Drogen bewirken eine künstlich erhöhte Dopaminausschüttung.

So wird zum Beispiel beim Konsum von Heroin im Gehirn 400 Mal so viel Dopamin ausgeschüttet wie bei einem org*smus.

Das hier ist keine Kampfschrift gegen die Lebensmittelindustrie, sondern eine Anleitung, die hoffnungslosen Fällen beim Abnehmen hilft. Dabei ist es zunächst allerdings wichtig zu wissen, was uns beim Abnehmen im Weg steht.

Und dabei gilt:

Mangelnde Disziplin bei der Kontrolle des Essens ist nicht einfach persönliche Schwäche. Sie ist auch Folge einer Strategie der Lebensmittelindustrie. Die zielt mit Hilfe neurochemischer Erkenntnisse bewusst darauf ab, unsere Selbstkontrolle außer Kraft zu setzen. Sie stellt Produkte her, die uns manipulieren wie Drogen.

Wir essen diese Lebensmittel und können irgendwie nicht mehr damit aufhören. Denn dieser sagenhaft gute Geschmack bewirkt eine Dopaminausschüttung ähnlich wie beim Drogenkonsum.

Gleichzeitig haben diese künstlichen Lebensmittel aber auch die gleichen Nebenwirkungen wie Drogen. Sie bewirken Abhängigkeit und Toleranzentwicklung.

Das Wort „Toleranzentwicklung“ bezieht sich auf die ständige Überflutung unserer Dopamin-Rezeptoren mit Dopamin. Irgendwann reduziert der Körper die Empfindlichkeit und die Zahl dieser Rezeptoren.

Wir Ärzte sagen dann, der Körper reguliert sie down. Wir könnten auch sagen: Wir werden immer immuner gegen Dopamin und brauchen immer mehr davon.

Normale Nahrung, also natürliche, kann zu unserem täglichen Dopamin-Bedarf bald gar nicht mehr beitragen. Sie wird für unsere Dopamin-Ausschüttung mehr oder weniger irrelevant.

Industriell hergestellte Nahrung vermindert unser Belohnungsgefühl. Um das auszugleichen, essen wir immer mehr.

Ein verhängnisvoller Kreislauf, bei dem die Lebensmittelindustrie letztendlich evolutionäre Muster nützt. Denn ausreichend zu essen, ist neben der Fortpflanzung der entscheidende Faktor beim Überleben einer Spezies.

Die Evolution hat deshalb nicht allein auf Hunger und das Sättigungsgefühl vertraut, sondern Essen über das Dopamin auch mit Glücksgefühlen verknüpft.

Die Evolution hatte nicht damit gerechnet, dass Nahrungsmittel irgendwann so leicht verfügbar sein werden, dass sie ein Zuviel davon besser mit Unglücksgefühlen verknüpfen sollte.

Schon gar nicht hatte sie damit gerechnet, dass uns Konzerne aus einst für die Menschheit überlebenswichtigen evolutionären Strategien einmal eine Falle bauen würden.

💡 Tipp: Wie Deine Gedanken Dein Gewicht steuern, kannst Du auch im Buch „Kopfsache schlank“ lesen.

Wie freie Radikale zur „Esssucht“ führen können

Industriell hergestellte Lebensmittel wirken nicht nur besonders stark auf unser Belohnungssystem. Sie greifen unser Gehirn und damit unsere Selbstkontrolle auch noch auf einer anderen Ebene an.

Dabei geht es um die gesättigten Fettsäuren in industriell hergestellten Nahrungsmitteln.

Studien zeigen, dass gesättigte Fette im Gehirn vermehrt freie Radikale freisetzen und damit Entzündungsreaktionen begünstigen. Außerdem reduzieren sie die Bildung eines Proteins, das für die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen, sowie für die Erinnerung wichtig ist.

Wozu führt das?

In einer Studie bekamen Nagetiere Futter mit einem hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren. In MRT-Untersuchungen waren bereits ein bis drei Tage nach der Futterumstellung Entzündungsreaktionen im Hypothalamus erkennbar.

Der Hypothalamus ist eine Überwachungsstation im Gehirn, die Werte wie Körpertemperatur, Wasserhaushalt, Kreislauffunktionen, Atmung oder Blutzuckerwerte kontrolliert.

Die Nagetiere mit dem entzündeten Hypothalamus nahmen rasch an Gewicht zu.

Ähnliche Ergebnisse brachten MRT-Untersuchungen des Gehirns übergewichtiger Menschen. Auch ihr Hypothalamus zeigte entzündliche Veränderungen.

Forscher vermuten nun, dass diese entzündlichen Veränderungen einen Kontrollverlust zur Folge haben.

Das bedeutet:

Die gesättigten Fettsäuren in industriell hergestellten Lebensmitteln bewirken, dass wir weniger gut bestimmen können, was wir essen, wieviel wir essen und wann wir wieder aufhören zu essen.

(Ergänzung von Mark: Es geht hier explizit um gesättigte Fette aus industrieller Fertigung. Die gesättigten Fette aus natürlichen Lebensmitteln können sehr gesund sein.)

Drei tückische Fallen der Lebensmittelindustrie – so erkennst Du sie

Die Lebensmittelindustrie hat noch drei aus ihrer Sicht geniale Methoden entwickelt, wie sie ihre Produkte „hyperpalatable“ machen kann.

  • Erstens. Viele industriell hergestellte Nahrungsmittel weisen ein Ungleichgewicht zwischen Omega 3- und Omega 6-Fettsäuren auf. Damit gehen ebenfalls Entzündungen im Hypothalamus und eine Neigung zum Kontrollverlust einher.
  • Zweitens. Der hohe Glykämische Index (GI) industriell hergestellter Lebensmittel schwächt ebenfalls die Selbstkontrolle beim Essen. Der den meisten Diät-Profis schon bekannte GI ist ein Maß für die Wirkung eines kohlenhydrathaltigen Lebensmittels auf den Blutzuckerspiegel. Je höher der GI, desto mehr treibt uns unser Blutzuckerspiegel beim Essen sozusagen vor uns her. Zuerst steigt er, und wenn er ebenso rasch wieder fällt, fühlen wir uns „unterzuckert“ und brauchen sofort Nahrungsnachschub.
  • Drittens. Die Lebensmittelindustrie sorgt für eine möglichst hohe Geschwindigkeit, mit der unser Körper ihre Produkte aufnehmen kann. Sie hält zu diesem Zweck den Wasser-, Eiweiß- und Fasergehalt der Lebensmittel absichtlich niedrig. Rasche Aufnahme bedeutet ebenfalls einen raschen Blutzuckeranstieg und damit ein höheres Suchtpotenzial.

Dirty Drugs: Die Top 10 Sucht-Lebensmittel

In amerikanischen Studien ergab sich folgende „Hitliste“ von Lebensmitteln, die chemisches Craving auslösen können:

  1. Milchschokolade
  2. Eiscreme
  3. Pommes frites
  4. Pizza
  5. Kekse
  6. Chips
  7. Kuchen
  8. Popcorn
  9. Cheeseburger
  10. Muffins

Unter Dirty Drugs, also schmutzigen Drogen, verstehen wir Substanzen, die im Gehirn an verschiedene molekulare Bindestellen oder Rezeptoren andocken und Dinge mit uns machen, die wir nicht wollen.

Du hast eben gesehen, dass stark verarbeitete, industriell hergestellte Lebensmittel aufgrund ihrer Inhaltsstoffe genau das tun.

Sie verändern beziehungsweise beeinflussen verschiedene Regionen Deines Gehirns und haben viele Wirkungen aber auch Nebenwirkungen.

Sie erfüllen damit im Grunde alle Kriterien für sogenannte Dirty Drugs, weshalb wir sie in diesem Buch auch wie solche behandeln.

Dunkle Geheimnisse: Warum Willensschwäche nie das Hauptproblem war

Vielleicht nimmst Du Dir jetzt einen Moment, lehnst Dich zurück und denkst nach. Wobei Dir ein paar „dunkle Geheimnisse“ Deines Lebens einfallen – Geheimnisse, die Du vielleicht bisher sogar vor sich selbst zu verbergen versucht hast.

Doch jetzt auf einmal sehen sie nicht mehr aus wie peinliche persönliche Schwächen, die nur Du alleine hast, sondern wie Effekte, die eine profitorientierte Milliardenindustrie bewusst hervorruft und deren Folgen Du mit hunderten Millionen anderer Menschen teilst.

Vielleicht erinnerst Du Dich an Urlaube, bei denen Du mit dem Auto in einsamen Gegenden unterwegs warst und einiges an Chips und Cola dabeihattest, bloß damit Dir nichts fehlen würde.

Du hast auch ziemlich viel davon gegessen, was Dir vor Deiner mageren Reisebegleiterin immer ein bisschen unangenehm war. Du hättest es am liebsten heimlich getan, als handle es sich tatsächlich um illegale Substanzen.

Vielleicht musstest Du einen Vortrag vor Kollegen oder auf einer Tagung halten und hast vor lauter Stress beim Lunch davor innerhalb weniger Minuten Essen mit mehr als 4.000 Kalorien (eine Portion Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln hat 840 Kalorien) in Dich hineingestopft.

Oder Dein Freund wollte Dich beim Abnehmen unterstützen und hatte für Dich ein tolles Gericht nach Paleo-Art gekocht. Es hat Dir auch tatsächlich gut geschmeckt. Du hast ausreichend gegessen, unter anderem auch viel Salat. Später warst Du sogar noch im Fitnessstudio und hast Dich danach wirklich wohl gefühlt. Du warst stolz auf Dich.

Am Heimweg vom Fitnessstudio kam dann allerdings die Attacke. Du bist extra einen Umweg gefahren, um bei McDonald‘s stehen zu bleiben, wo Du zwei Menüs auf einmal gegessen hast.

Das alles waren keine glorreichen Momente für Dich. Aber Du hast diese Momente bisher wahrscheinlich falsch als reine persönliche Schwäche interpretiert.

Was da in Dir vorgeht, ist im Grunde ganz normal. Du reagierst sozusagen nach Plan, bloß ist es nicht Dein Plan, sondern jener der Lebensmittelindustrie.

Anders ausgedrückt:

Niederlagen beim Umsetzen Deines Ernährungsplans lassen sich vermeiden, aber nicht allein durch eisernes Widerstehen. Bei diesem Versuch wirst Du regelmäßig an Deine Grenzen kommen und sie ebenso regelmäßig überschreiten. Du brauchst vielmehr einen neuen Plan. Deinen Eigenen.

Ganz ehrlich: Hast Du nicht ohnedies schon immer vermutet, dass bestimmte Lebensmittel Suchtpotenzial haben?

Auch damit bist Du nicht allein. Laut Studien glauben das 86 Prozent der Bevölkerung.

Es geht also darum, das Suchtpotenzial von Lebensmitteln nicht mehr bloß als diffuse Möglichkeit, sondern als Faktum zu betrachten und die richtigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Womit Du auch endgültig keinen Grund mehr hast, Dich für Dein Übergewicht zu schämen.

Dazu haben wir eine interessante Analyse aus dem Jahr 2014 gefunden: Sie ergab, dass das individuelle und kollektive Erkennen des Suchtpotenzials von Essen die Scham und die Stigmatisierung von Übergewichtigen senkt. Wir finden: zu Recht!

Denk also bitte daran:

Dein Übergewicht ist nicht allein die Folge von Willensschwäche, die Du Dir selbst vielleicht vorwirfst, oder Deine mangelnde Konsequenz. Das Problem liegt nicht ausschließlich in Deiner Verantwortung.

Frankreich zum Beispiel ist ein Land, das lange berühmt war für seine Essenskultur und für die Qualität seiner Lebensmittel.

In Frankreich war es üblich, mehrere Gänge zu essen, das Essen zu kultivieren und sich viel Zeit dafür zu nehmen. Die Anzahl der McDonald‘s-Filialen als Symbol für den Sieg der Gier über den Genuss lag lange weit unter dem europäischen Schnitt, ebenso die Anzahl an Übergewichtigen.

Das kam nicht von ungefähr. Viele Gemeinden versuchten, Fast-Food-Filialen mit gesetzlichen Bestimmungen zu verhindern.

Nachdem die Gerichte diesen Versuchen eine Absage erteilt hatten, stieg nicht nur die Zahl der französischen McDonald‘s-Filialen, sondern auch die der Übergewichtigen. Sie entspricht jetzt dem europäischen Schnitt.

Was einen weiteren Zusammenhang zwischen Essverhalten und Suchtverhalten zeigt: Die Verfügbarkeit des Sucht beziehungsweise Nahrungsmittels spielt eine entscheidende Rolle.

Vielmehr als in unserer alleinigen persönlichen Verantwortung liegt das Problem darin, dass wir zunehmend den falschen Lebensmitteln ausgesetzt sind. Die Industrie entwirft sie absichtlich so, dass sie ein Suchtpotenzial wie Drogen haben. Sie verursacht durch die Auswahl der Inhaltsstoffe absichtlich chemisches Craving
bei ihren Kunden. Und sie sorgt dafür, dass ihre Produkte überall schnell, billig und unkompliziert verfügbar sind.

Ehe wir Dir erklären, mit welchen Methoden Du das Craving überwindest, der Nahrungsmittelindustrie ein Schnippchen schlagen, die Kontrolle über Dein Essverhalten zurückgewinnen und damit Deiner Traumfigur näherkommen, solltest Du Dich neben dem chemischen Craving die zweite Form des Cravings vertraut machen.

Esssucht Ursache 2: Emotionales Craving

Die Psychologie des Heißhungers: Wie "Craving" entsteht (3)

Wir brauchen eine gewisse Anspannung in uns, um die täglichen Herausforderungen zu bewältigen.

Diese Anspannung verändert sich im Laufe des Tages immer wieder. Wird die Anspannung zu hoch, nennen wir sie Stress.

An dieser Stelle ist es uns wichtig zu betonen, dass Stressfaktoren sehr subjektiv sein können. Nicht nur ein vollgestopfter Terminkalender kann Stress bewirken. Auch Schicksalsschläge, Einsamkeit oder Langeweile können die innere Anspannung auf ein Ausmaß steigern, das rasch sehr unangenehm werden kann.

Übrigens kann auch eine Diät Stress auslösen.

„Eine Diät mit einer sehr niedrigen Kalorienzufuhr ist, als würdest Du eine Waffe laden“, sagte die Psychologin Ashley Gearhardt in einem Vortrag. „Du bist durch so eine strenge Diät super gestresst und überempfindlich.“

Was sich anhand vieler Beispiele bestätigen ließe. So wandert eine meiner Freundinnen regelmäßig in der Steiermark, und zwar in der Nähe einer Rehabilitationsklinik, die übergewichtige Menschen zu strengen Abnehmkuren stationär aufnimmt. Wenn sie mit dem Bus daran vorbeifährt, kommt es vor, dass zusteigende Fahrgäste den Fahrer total gestresst fragen, wo die nächste Konditorei ist. Während der Fahrt sehen manche von ihnen aus, als würden sie tatsächlich gleich die Buswände hochspringen.

Genauso gut können Stress auch Wohnungen auslösen, in denen wir uns nicht wohlfühlen, Nachbarn, die lärmen, unfreundliche Bankmitarbeiter, Abendnachrichten, die Sorgen machen oder Ähnliches.

Was dem einen vielleicht gleichgültig ist, kann in anderen eine enorme Bildung von Stresshormonen bewirken. Wenn Du abnehmen willst, ist das wichtig für Dich. Denn es gilt:

Jede Art von Stress kann sich auf unser Essverhalten auswirken.

Wie geht das?

Der Grund liegt wieder in unserem Dopaminhaushalt. Viel Stress erhöht unseren Bedarf an Dopamin.

Dieser Zusammenhang bewirkt, dass Stresssituationen automatisch emotionales Craving auslösen. Wir wollen bei Stress essen, um uns zu belohnen.

Wenn wir gestresst sind, wodurch auch immer, sorgt unser Gehirn dafür, dass unser Verlangen nach Dopaminausschüttungen steigt.

Ist dieses Verlangen bei uns mit Essen verknüpft, dann essen wir eben.

Wie Dein Suchtgedächtnis Dich in die Falle locken kann

Aber ich leide oft unter Craving, wenn ich zuhause bin und mir einen gemütlichen Abend machen will, also wenn ich gerade keine Spur von Stress empfinde, denkst Du Dir jetzt vielleicht.

Beim letzten Mal überlegst Du ganz entspannt, was Du Dir im Fernsehen ansehen könntest, und schon ging es los mit den Gedanken ans Essen. Das Craving wurde immer stärker. Bis Du an nichts anderes mehr denken konntest.

Was ist schuld daran?

An dieser Stelle müssen wir Dir kurz erklären, was das Suchtgedächtnis ist.

Darunter verstehen wir bestimmte Gedächtniszellen in einem Teil unseres Gehirns, die bestimmte Reize sofort mit einer Befriedigung bestimmter Bedürfnisse in Verbindung bringen.

Was heißt das jetzt?

Unser Gehirn verknüpft bestimmte Menschen, Orte, Gerüche, Situationen, Musikstile oder Bilder mit Essen. Wenn wir mit diesen Menschen, Orten, Gerüchen, Situationen, Musikstilen oder Bildern konfrontiert sind, wollen wir allein deshalb essen. Craving entsteht dabei scheinbar ohne jeden Anlass.

Du triffst einen bestimmten Freund oder Bekannten immer zum Essen? Eine bloße Begegnung mit ihm, auch in ganz anderem Zusammenhang, kann Dein Suchtgedächtnis aktivieren und Craving auslösen.

Du besuchst ein bestimmtes Café gewöhnlich wegen seiner fantastischen Crêpes? Ein Besuch dort, zum Beispiel wegen eines beruflichen Treffens am Nachmittag, bei dem nur Kaffee und Wasser vorgesehen sind, kann Craving auslösen. Selbst dann, wenn Du gerade gegessen hast.

Du liebst klassische Musik und hörst beim Abendessen am liebsten Mozart? Wenn Du in einem Aufzug mit einer seiner 626 wundervollen Kompositionen beschallt wirst, kann das Craving auslösen.

Die einzige Möglichkeit, das Suchtgedächtnis zu überlisten, besteht darin, allem, das es aktivieren könnte, aus dem Weg zu gehen. Indem wir zum Beispiel unseren Heimweg von unserem Job so wählen, dass wir ganz bestimmt nicht an dieser einen Gelateria vorbeikommen, wo wir doch im Sommer immer… und eigentlich auch im Frühjahr schon und spät im Herbst noch…

Beharrliche Aufmerksamkeit ist hier gefragt. Denn das Suchtgedächtnis lässt sich nicht ganz löschen. Selbst Kindheitserinnerungen, die wir mit Essen verknüpfen, können Craving auslösen.

Unser Suchtgedächtnis bleibt lebenslang bestehen.
Wir können nur darauf achten, es nicht zu aktivieren.

Warum emotionales Craving alle Lebensmittel betreffen kann

Einen wichtigen Unterschied zum chemischen Craving gibt es noch. Es betrifft nicht nur industriell hergestellte Lebensmittel.

Um es anhand eines Beispiels zu erklären: Ronald (Name geändert), den ich durch meine Buchpublikationen im Verlagswesen kennengelernt habe, hat viele Jahre lang versucht, sein Craving zu überwinden.

Er bezeichnet sich selbst als „Suchtmenschen“, also als jemanden, der leicht in etwas „hineinkippt“ und diesem Laster dann auch exzessiv frönt – egal ob es Rauchen, Trinken oder zu viel Essen ist.

Weil in seiner Familie die Suchtmenschen immer früh starben, während die anderen ziemlich alt wurden, kämpfte er gegen diese Prägung an. Inzwischen hat er es tatsächlich geschafft.

Er hält seit vier Jahren einen selbst entwickelten Ernährungsplan ein, der ziemlich genau festlegt, wann er was isst und wie viel davon. Mit scheinbar großer „Disziplin“. Weshalb ich mehrmals mit ihm über dieses Buch gesprochen habe.

Bis Ronald irgendwann mehr oder weniger intuitiv zu den richtigen Methoden griff, kämpfte er schwer gegen sein Craving an.

Zunächst verstand er das Problem mit den Tricks der Lebensmittelindustrie und schaffte es tatsächlich nach einer Weile, industriell hergestellte Lebensmittel im Wesentlichen zu vermeiden.

Sein Craving wurde schwächer, aber es war nicht weg. Es war immer noch stark genug, um ihn regelmäßig zu überfordern.

Er aß daraufhin immer „natürlicher“ und verzichtete etwa auch auf Gewürze oder Öle wie Olivenöl.

Das Craving blieb.

„Ich glaube, wenn ein Mensch wie ein asiatischer Mönch nur noch Reis und gekochtes Gemüse isst, entwickelt er auch danach noch Craving“, sagte er bei einem unserer Gespräche.

Ein anderes Mal erzählte er mir, dass er grundsätzlich gute Erfahrungen mit Zitronenwasser gemacht hatte: Der Saft von zwei Zitronen, aufgelöst in einem halben Liter Leitungswasser. Das habe er tagsüber im Büro getrunken, um etwas gegen seine Craving-Attacken in der Hand zu haben.

Irgendwann stellte er fest, dass er morgens, wenn er das Büro betrat, sogar Craving nach diesem Zitronenwasser empfand.

Er dachte, es könnte am Fruchtzucker liegen. In Wirklichkeit ist das emotionales Craving. Davor sind nicht einmal Mönche sicher.

Essucht Test: Wie anfällig bist Du für Food Cravings?

Wie Du feststellen kannst, wie stark Dein Craving ist und ob Du beim Essen zu Suchtverhalten neigst.

In der Suchtmedizin gibt es sogenannte Craving-Skalen, die zeigen, was bei welchen Betroffenen zu wie starkem Craving führt.

Wir haben für Dich eine Skala aus Amerika gefunden, die sich mit dem Craving nach Essen beschäftigt. Diese wurde von Herr Meule und seinem Team ins Deutsche übersetzt und auch validiert, also überprüft. Dankenswerterweise hat er uns die Erlaubnis gegeben, seine Skala in unserem Sachbuch zu verwenden.1

Craving ist oft mit intensiven Gefühlen und nicht immer logisch nachvollziehbaren Gedanken und Handlungen verbunden. Weiter unten erfährst Du, wie sehr Craving Teil Deines Problems mit dem Essen ist.

Es handelt sich dabei um einen Test und es gibt am Schluss auch ein Ergebnis, aber nur dann, wenn Du ein wirklich starkes Craving hast, denn der Test will ja vergleichbar mit Suchtmitteln sein.

Unabhängig davon, ob Du für ein Craving mit Suchtcharakter ausreichende Punkte hast, so kannst Du jedenfalls erkennen, wie unterschiedlich Craving sein kann und was es in Dir auslösen kann, und Du kannst überprüfen, was Craving schon mit Dir gemacht hat.

Wir haben hier für Dich eine Liste von 15 Aussagen zusammengestellt, die Gefühle, Gedanken, Wünsche, Versuchungen und Gelüste in Bezug auf Nahrungsmittel und Essen beschreiben.

📋 Test 1: Selbsttest Food Cravings

Bitte bewerte auf einer Skala von 1 bis 6, wie sehr die folgenden Aussagen auf Dich zutreffen, beziehungsweise wie häufig Du auf diese Weise denkst und fühlst (1 = nie und 6 = immer).

  1. Wenn ich starkes Verlangen nach etwas habe, weiß ich, dass ich nicht mehr aufhören kann zu essen, wenn ich erst einmal angefangen habe.
  2. Wenn ich das esse, wonach ich starkes Verlangen verspüre, verliere ich oft die Kontrolle und esse zu viel.
  3. Wenn ich starkes Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln verspüre, denke ich ausnahmslos darüber nach, wie ich das bekomme, was ich essen will.
  4. Ich habe das Gefühl, dass ich die ganze Zeit nur Essen im Kopf habe.
  5. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich gedanklich ständig mit Essen beschäftige.
  6. Immer wenn ich ein starkes Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln spüre, merke ich, dass ich gleich plane, etwas zu essen.
  7. Ich verspüre ein starkes Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln, wenn ich mich gelangweilt, wütend oder traurig fühle.
  8. Ich habe nicht die Willenskraft, meinen Essensgelüsten ernsthaft zu widerstehen.
  9. Wenn ich einmal anfange zu essen, fällt es mir schwer, wieder aufzuhören.
  10. Ich kann nicht aufhören über das Essen nachzudenken, wie sehr ich mich auch bemühe.
  11. Wenn ich dem starken Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln nachgebe, verliere ich jegliche Kontrolle.
  12. Immer wenn ich starkes Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln verspüre, denke ich solange ans Essen bis ich tatsächlich esse.
  13. Wenn ich starkes Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln verspüre, verzehren mich die Gedanken daran, diese zu essen.
  14. Meine Emotionen bringen mich oft dazu, etwas essen zu wollen.
  15. Wenn sich appetitliche Nahrungsmittel in meiner Reichweite befinden, fällt es mir schwer, der Versuchung zu widerstehen.

Auswertung: Zähle alle Punkte zusammen. Wenn Du mehr als 50 Punkte hast, dürfte Dein Craving so stark sein, dass es sehr schwer ist, diesem zu widerstehen. Je höher der Wert, desto mehr trifft dies zu. Je niedriger unter 50 Dein Wert ist, desto geringer dürfte das Ausmaß Deines Cravings sein.

📋 Test 2: Welche der folgenden Situationen kennst Du?

Bitte lies auch die folgenden Aussagen und überlege Dir, ob es Dir auch schon so ergangen ist. Wenn ja, mach bitte einen Haken für die betreffende Aussage.

  • Wenn ich mit jemandem zusammen bin, der gerade isst, dann macht mich das auch leicht hungrig.
  • Ich hasse es, wenn ich Lust auf eine Schokolade, ein kühles, cremiges Eis, knusprige Chips, einen saftigen Burger… habe und es dann nicht schaffe, mich zu beherrschen und meinem Verlangen nachgebe.
  • Manchmal esse ich einfach nur, um mich besser zu fühlen.
  • Es kommt mir dann so vor, als ob mein Körper nach diesem Nahrungsmittel geradezu verlangen würde!
  • Ich werde dann so hungrig, als ob mein Magen ein Fass ohne Boden wäre.
  • Essen beruhigt mich einfach.
  • Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich mit offenen Augen vor mich hinträume und an eines meiner Lieblingsessen denke.
  • Immer wenn es ein Buffet gibt, esse ich am Ende mehr als ich gebraucht hätte.
  • Wenn ich mit Jemandem unterwegs bin, der viel isst, dann esse ich gewöhnlich auch recht viel.
  • Wenn ich an mein Lieblingsessen denke, dann läuft mir gleich das Wasser im Mund zusammen.
  • Wenn ich total gestresst bin, dann kommt oft ein starkes Verlangen, etwas Feines (Schokolade, Chips…) zu essen.
  • Wenn ich das esse, was mir Freude macht, bin ich weniger deprimiert.
  • Wenn ich mich gerade sehr aufgeregt habe, beruhigt es mich, wenn ich dann Lebensmittel XYZ esse.

Wie auch immer Du Dich am Ende einschätzt:

Du bist, wie gesagt, nicht süchtig.

Wir haben es bereits gesagt, aber hier zur Sicherheit noch einmal im gleichen Wortlaut:

Keine Sorge. Mit Dir ist alles in Ordnung.

Diäten, die Du bereits gemacht hast, und bestimmte Nahrungsmittel, die Du gegessen hast, können in Deinem Gehirn Veränderungen von Nervenzellen und Neurotransmittern hervorgerufen haben, die Verlangen nach Essen auslösen und verhindern, dass Du auch nur die winzigste Einschränkung aushältst.

Mit den Methoden in unserem Buch können wir Dir dabei helfen, die Programmierung, die Dir bisher ziemliche Probleme gemacht hat, weitestgehend rückgängig zu machen.

„Abnehmen für hoffnungslose Fälle: Hardcore-Tipps aus der Suchtmedizin“ ist bei Edition A erschienen.

Die Psychologie des Heißhungers: Wie "Craving" entsteht (4)

Über die Gastautoren

Dr. Iris Zachenhofer war Neurochirurgin an der Wiener Universitätsklinik sowie an der Neurochirurgie Feldkirch (Vorarlberg). Sie wechselte in die Psychiatrie und arbeitet jetzt im Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe in Wien.

Dr. Shird Schindler ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Er leitet das Zentrum für Suchtkranke und die Station für forensische Akutpsychiatrie und Begutachtung im Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe in Wien.

    Frage: Welche Erfahrungen hast Du mit Food Cravings gemacht und was hat Dir dabei geholfen, Dein Verhalten zu verändern? Schreib einen Kommentar.

    Bildquellen

    © Shutterstock.com: Pathdoc (Titelbild zu Esssucht und Craving, Frau schaut sehnsüchtig auf Schwarzwälder Kirschtorte), Andrejs Zavadskis (gestresster Mann mit Kaffeetasse).

    1. Meule et al 2014: A short version of the Food Cravings Questionaire – Trait: The FCQ-T -reduced. []
    Die Psychologie des Heißhungers: Wie "Craving" entsteht (2024)
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    Author: Carmelo Roob

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